Kundenbindung als Marketingziel

Kundenmagazine - Nachgefragt bei: Professor Helmut Schneider

Laut Prof. Helmut Schneider, Inhaber des Lehrstuhls für Marketing und Dialogmarketing an der Berliner School of Management and Innovation, sind Kundenzeitschriften „latente Pull-Medien“: Überwinden Herausgeber und Titel die Annahmehürde beim Leser, dann wählt dieser selbst, wie intensiv und in welcher Situation er sich mit dem Magazin auseinander setzen mag. Das wirke sich positiv auf die Aufnahmequalität aus.

Junge Frau liest im Café ein Magazin
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Nach Ihren Worten lassen sich Kundenzeitschriften nicht über einen Kamm scheren. Für wen lohnt sich welches Konzept?

Schneider: Wir unterscheiden zwei Arten von Kundenzeitschriften. Einerseits existieren quantitative Magazine mit klarem Fokus auf den Verkaufszielen. Die Heftinhalte sind eher produktorientiert und mit verkaufsbezogenen Response-Elementen wie Coupons angereichert. Andererseits hat sich eine qualitative, mitunter luxuriös anmutende Kategorie von Kundenzeitschriften herausgebildet. Diese konzentriert sich auf psychografische Ziele wie Image und natürlich Kundenbindung. Der Charme solcher journalistisch wie gestalterisch hochwertigen Titel offenbart sich dadurch, dass diese Zeitschriften Herausgeber und Produkte mit der Lebenswelt der Leser erzählerisch verknüpfen.

Lohnt sich dieser Aufwand?

Schneider: Aufwändige Heftkonzepte erhöhen die Chance auf eine intensive Auseinandersetzung. Sie fördern damit die Kundenbindung. Die Effizienz eines Kommunikationskanals wird immer noch wesentlich am Kontaktpotenzial festgemacht, auch wenn diese Größe nichts über die Kontaktwirkung aussagt. Wer den Maßstab „Tausender-Kontakt-Preis“ (TKP) ans Corporate Publishing anlegt, glaubt zunächst, es handele sich um eine teure Disziplin. Man muss jedoch berücksichtigen, dass die Kontaktqualität beim Lesen einer Kundenzeitschrift als aktiver Prozess der Informationsaufnahme hochwertiger ist als bei einem 30-sekündigen TV-Spot. Bei Kundenzeitschriften ist eine ausschließliche Wirkungsmessung über Kontaktkennzahlen daher nicht sinnvoll. Neben Kontaktquantität müssen Unternehmen vor allem die Kontaktqualität bei der Effizienzbetrachtung berücksichtigen.

Was gehört demnach zu einem erfolgreichen CP-Konzept?

Schneider: Kundenzeitschriften sollen Lesernutzen schaffen. Einerseits geht es um Unterhaltungsnutzen – etwa interessant aufbereitete Inhalte, gut gemachte Fotostrecken oder haptische Eindrücke. Andererseits bedarf es zielgruppenspezifisch relevanter, journalistisch aufbereiteter Informationen. Dabei stehen Herausgeber vor der Aufgabe, den richtigen Mix aus Kommunikationszielen des Absenders und Kommunikationsbedürfnissen der Leser zu finden. Ein für den Leser hoch interessantes Heft ohne jegliche absenderbezogene Information wird vermutlich zwar gelesen, erzielt aber kaum Wirkungen. Wenn umgekehrt ein Magazin mit vielen absenderbezogenen Inhalten an der Lebenswelt des Lesers vorbeigeht, lesen es die Adressaten vermutlich nicht.

Vor Jahren prophezeiten New-Media-Gurus, übertrieben gesagt, Online den Siegeszug und Print den Tod. Wie ist es bei Kundenzeitschriften um die Zukunft des ungleichen Paares bestellt?

Schneider: Sicher entwickeln sich die Leserzahlen von Print-Produkten gerade bei der jüngeren Generation insgesamt rückläufig – zugunsten von Online. Wer Corporate Publishing betreibt, ist gut beraten, sich der verändernden Mediennutzung zu stellen. Herausgeber müssen klären, welche Informationen sie über welche Kanäle, an welche Zielgruppe zu welchem Zeitpunkt verbreiten. Beispielsweise punktet das Web dank Bewegtbildern oder Interaktionsmöglichkeiten mit Animationsnutzen. Wer indes komplexe Inhalte kommuniziert, der wird dies besser auf Papier tun und möglicherweise online mit abrufbaren Visuals flankieren.

Crossmedia bedeutet, die Vorteile der Medien auszuspielen …

Schneider: Allerdings fällt den digitalen Kanälen nicht dieselbe latente Pull-Rolle zu wie Print. Das hat mit der Nutzungssituation zu tun – der bewussten Auseinandersetzung, sagen wir: der Muße, sich in der Badewanne mit einem Thema zu beschäftigen. Denselben Effekt erzielen Sie nicht mit einem Handy an einer Bushaltestelle. Kurzum: Print inspiriert, Nutzer blättern sich durch ein komplexes Sortiment und lassen sich auf die Welt des Absenders ein. Ich selbst, Jahrgang 1966, greife erst zu Maus und Tastatur, wenn ich weiß, wonach ich im Web suchen muss.

Der Wertewandel bringt einen Individualisierungstrend mit sich. Wie gehen CPler mit dieser dialogischen Herausforderung um?

Schneider: Analog zu anderen Wirkungsfragen müssen Unternehmen auch die Individualisierung von Kundenzeitschriften unter Effektivitäts- und Effizienzgesichtspunkten betrachten. Bei der Effektivität ist es wichtig zu prüfen, inwieweit mit der Individualisierung eine stärkere Wirkung beim Leser erzielbar ist. Dies hängt nicht zuletzt vom Individualisierungsgrad bei der jeweiligen Zielgruppe ab. Beim Mini wird dies vermutlich anders sein als bei E.ON. Neben der Frage des „Ob“ müssen Corporate Publisher auch das „Wie“ prüfen: Welche Parameter einer Kundenzeitschrift – etwa Titelbild, Inhalte, Haptik – sollten sinnvoller Weise individualisiert werden? Man muss unter Effizienzgesichtspunkten schließlich die mit der Individualisierung verbundenen Kosten berücksichtigen.

Prof. Dr. phil. Dr. rer. pol. Helmut Schneider ist seit 2006 Inhaber des Lehrstuhls für Marketing und Dialogmarketing an der School of Management and Innovation der Steinbeis-Hochschule Berlin. Sein Lehrstuhl forscht auf den Gebieten interkultureller, gesellschaftlicher und medialer Dialog. Ein besonderer Schwerpunkt liegt u.a. auf dem Medium Kundenzeitschriften.

Das Gespräch führte Kristina Schreiber. Nachdruck aus M:Profile mit Genehmigung.

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